Tag Archives: Flüchtlinge

"Wir sind das Volk" rufen sie. Und meinen damit das kleine Grüppchen, das sie umgibt. Und ein bisschen sich selber. Aber letzteres am Wenigsten, weil sie eigentlich keine richtige Idee davon haben, was "das Volk" eigentlich ist.

Dieses wir existiert überall. Es beschreibt die Lebenspartnerschaft, das Büro, die Firma, die Verwandschaft, die Schulklasse, die Dorfgemeinschaft ...

Und dann gibt es noch "die Anderen". Eben nicht wir. Die Anderen haben immer irgendeine Eigenschaft, die sie anders machen. Sie sind Ausländer, sie haben eine dunklere Hautfarbe, sie sind nicht von hier, sie haben vielleicht eine körperliche, geistige oder psychsisch Einschränkung oder Besonderheit.

Und diese Andersartigkeit macht Angst. Wir haben keine Erfahrung mit denen. Was wäre, wenn es noch weitere Besonderheiten gibt? Oder wir einfach, sei es mangels Erfahrung oder aus persönlichen Unvermögen heraus, nicht mit diesen Menschen umgehen können?

Was, wenn wir uns bis auf die Knochen blamieren, wenn zum Beispiel plötzlich ein Blinder in der Abteilung anfängt und wir zu einfältige Fragen stellen, oder zu offensichtlich nicht auf seine Bedürfnisse eingehen, und uns so unbeabsichtigt als unsensibles Arschloch outen? Ja wer will denn schon als Arschloch dastehen?

Was ist, wenn wir uns so in unseren Gewohnheiten eingependelt haben, dass uns selbst eine Person, die eine andere Sprache spricht, Angst macht? Wer will denn schon als Angsthase dastehen?

Umfragen zeigen, dass zum Beispiel die Regionen mit dem geringsten Anteil an Migranten die höchste Angst vor Fremden haben.

Aber jedes Mal, wenn einer von den "Anderen" in mein "Wir" hineinkam, dauerte es nicht lange, bis dieser Mensch plötzlich auch zu "Wir" wurde.

Manchmal hakte es ein wenig. Manchmal musste mich jemand erst mal auf seine besonderen Bedürfnisse hinweisen, damit ich meine Gedanken aus den eingefahrenen Kreisen befreien konnte.

Aber jedes Mal, wenn dies geschah, war das ein Gewinn. Nicht nur ich - die ganze Gruppe verlor ihre Unsicherheit, und erwarb so neue Erfahrungen und mehr Gelassenheit.

Deswegen kann ich nur empfehlen: lasst neue Menschen in euer "wir" hinein. Es ist nicht so schlimm wie ihr denkt. Und ihr müsst viel seltener die Angst haben, als Arschloch dazustehen. Es sei denn ihr wollt eines sein, werden oder bleiben. Aber dann ist es eure bewusste Entscheidung. Und dann ist der Punkt erreicht, wo ich klar sage: ihr habt in meinem "wir" nichts zu suchen.

sundown

Im Moment passiert viel in der Welt und in der Gesellschaft. Während Staaten in Krieg, Bürgerkrieg und Chaos versinken, erreichen uns in den letzten Tagen viele Flüchtlinge. Und einige Menschen zeigen inzwischen offen ein Gesicht, das fast unerträglich ist.

Facebook geriet in der letzten Zeit in Kritik, dass es zwar ''Nippelbilder'', sprich Bilder von nackten Brüsten zensierte, nicht aber Hassreden, sowie klare Beispiele von Volksverhetzung oder Aufrufen zu Straftaten.

Aber was macht man mit der Bandbreite an Menschen, die von populistischen menschen- und gesellschaftfeindlichen Äußerungen über rassistische und beleidigende Kommentare hin zu offenem rechtsradikalen Gedankengut von sich geben?

Immer häufiger lese und höre ich davon, dass diese Menschen doch ihren Arbeitgebern gemeldet werden sollten, damit diese ihre gesellschaftliche Pflicht erfüllen, und wenigstens solche Mitarbeiter kündigen.

Dieser Ruf nach dem großen Bruder mit dem starken Arm erfüllt mich mit einem gewissen Gruseln.

Strafbar oder nur Scheiße?

Zum Einen sollten wir uns im Klaren sein, dass nicht alles, was moralisch daneben ist, einen katastrophalen Zustand der Sozialkompetenz offenbart, auch strafbar ist.

Es gibt Fehlverhalten, mit denen wir uns als Gesellschaft selbst auseinander setzen können. Der Staat ist dazu da, dort einzugreifen, in dem Einzelne sich nicht mehr schützen können, oder wo ein Klima entsteht, in dem das generell der Fall ist.

Ich habe zum Beispiel die Freiheit, eine Beleidigung anzuzeigen, oder einfach zu ignorieren. Ich kann entscheiden, ob ich die derbe Sprache aufgreife, oder ob das so schlimm ist, dass ich eine übergeordnete Instanz einschreiten lasse. Ein Mord wird immer vom Staat geahndet, selbst wenn sich für den Toten niemand interessiert.

Aber diese Dinge, die nicht strafbar sind; die will ich nicht!

Ja, es gibt unerträgliche Menschen. Es gibt Menschen, die sich so benehmen, dass niemand ihre Gesellschaft will. Und es gibt Menschen, die Äußerungen treffen, die in mir jeden Funken an Verachtung und Ekel so hochkochen lassen, dass ich ihnen am liebsten auf die Füße kotzen würde. Und dann kommt die kleine Stimme des Unterbewusstseins auf dem Off: "sowas gehört doch verboten". Weil es Schadet, weil es Menschen weh tut, weil es mir weh tut.

Demokratie 

Wollen wir uns vor der Verantwortung drücken? In einer Demokratie gehen Macht und Regierung vom Volke aus. Das heißt nicht, dass jegliche Aktion oder Gesetzgebung frei von Fehlern ist. Eine Gesellschaft, in der alles reglementiert ist, und Abweichungen nicht mehr zugelassen werden, ist dazu verdammt zu erstarren. Eine Weiterentwicklung ist nicht möglich.

Je flexibler und selbstregulierender eine Gesellschaft allerdings ist, desto stabiler bleibt sie und flexibler reagiert sie auf äußere Einflüsse, auf Fehlverhalten oder unerwartete Entwicklungen.

Seht euch die ersten Hilfswellen für die Flüchtlinge an. Es war nicht reguliert. Es war nicht geplant. Menschen machten da auch Fehler, und hatten keine Vorgaben. Aber sie waren sich einig und waren damit effektiv.

Legislative, Exekutive und Judikative

Die Gewaltenteilung ist einer der Stützpfeiler unserer Demokratie. Diese Gewalten werden durch den Staat ausgeführt. Auch wenn es hier in der Durchführung oft hapert, ist die Grundidee, dass Vorgaben für diese staatlichen Stellen durch das Volk mit Hilfe von Wahlen und Mitbestimmung gemacht werden, nicht falsch.

Der Ruf, diese Elemente auf private Unternehmen zu übertragen, ist ein Spiel mit dem Feuer, das eine Demokratie nicht überleben kann. Wer entscheidet dann noch, was moralisch richtig ist, und bestehen darf? Was damit passieren kann, zeigen Beispiele, wie die Geschichte von Wikileaks. Ohne dass ein strafbares Handeln festgestellt wurde, wurden Firmen wie Visa und Paypal verpflichtet, für Wikileaks keinen Finanzverkehr mehr durchzuführen. Es gab also empfindliche Strafen, ohne dass jemals ein öffentlicher Prozess stattfand, der die Rechtmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit festgestellt hätte.

Wie soll ein Unternehmen, mit wenigen Entscheidern also reagieren? Auf eine Einzelanfrage aus der Politik? Auf einen kollektiven Shitstorm auf einem Medium? Aus eigener Überzeugung? Dann kann sich aber niemand mehr sicher sein, ob sein Verhalten gerade toleriert wird. Nichts muss mehr überprüft werden. Und kein Fehler darf je mehr verziehen werden.

Wenn wir derartige Strukturen zulassen, ja sogar fördern, dann ist es nur noch eine Frage der Macht, wer die Strukturen dann kontrolliert, und damit entscheidet, was richtig ist. Das wäre das Ende der Demokratie. Wollen wir das Recht des Stärkeren als moralische Instanz?

"Willst du das dein Therapeut, deine Altenpflegerin, dein Arzt, dein Anwalt, deine Krankenschwester Rassistisch ist?"

Nein, ich will das nicht. Aber das habe ich nicht für andere Menschen zu entscheiden. Auch wenn mir der Gedanke zuwider ist. Wenn ich das verhindern wollte, müsste ich jeden Menschen  in seinen privatesten Äußerungen durchleuchten. Totale Überwachung wäre alternativlos. Vorratsdatenspeicherung ein Muss. Wenn Menschen in ihrem Job ihren Arbeitgeber missbrauchen, um ihre Ideologien durchzuprügeln - noch schlimmer - zum Nachteil Anderer ist dies zu Recht ein Kündigungsgrund. Wenn ein Angestellter mich als Kunden missbraucht, indem er seine verachtenswerten Ansichten kund tut, lehne ich ab, mich von ihm bedienen/behandeln zu lassen.

''Glaube, familiäre Werte, Sexualpraktiken sind eine Sache, Gruppenspezifischer Menschenhass eine ganz andere - der schadet direkt.''

Nun, hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Ersteres beschreibt, wie ein individueller Mensch sein Leben lebt. Welche Ideen und Überzeugungen er in sich trägt. Das Andere beschreibt einen assozialen Charakter. Der Zusatz "der schadet direkt" weist darauf hin, dass dieser im beschriebenen Fall auch ausgelebt wird.

Darf ein Mensch sich ändern? Darf er dazu lernen? 

Und noch so ein kitzeliges Thema? Mit Nazis reden? Wuah. Das hört sich nach flauschigem Kaffeekränzchen mit Tee an, und verständnisvollem Kopfnicken. Eh. Nein. HIer empfehle ich für Situationen, in denen Ausweichen schwierig ist, höchstens das Buch "Wie man mit Fundamentalisten argumentiert, ohne den Verstand zu verlieren". 

Nicht, um diesem Gewäsch ein Podium zu bieten. Nicht, außer als verbaler Sparringspartner.

Aber was ist mit dem Grenzwertigen? Ich rede nicht von dem pöbelnden Pegida-Mob oder Neonazi-Märschen müt übelster Hasspropaganda. Ich rede von der gesellschaftlichen Mitte. Die Überlegungen äußert, die von sozialer Kälte, Empathielosigkeit und Hass durchsetzt sind.

Ist ein Mensch noch ein Nazi oder rechtsradikal, wenn er nach einer kurzen Entgleisung erkannt hat, dass er einen Fehler begangen hat. Der sich geändert hat. Der vielleicht nur eine sehr dumme Äußerung getätigt hat, über Flüchtlinge, über Ausländer oder Migranten, und sich davon distanzieren will, wenn er darüber nachgedacht hat? Natürlich darf man diesen Menschen fühlen lassen, dass das mies war. Aber lebenslange Ächtung? Hier stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wieder.

die eigenen Rechte

Oha, was kommt jetzt? Poche ich als weiße, privilegierte, heteresexuelle … eh … Frau (irgendwas ist ja immer) etwa noch auf meine Rechte? Ja, das tue ich. Auch ich habe das Recht, eine Demokratie zu fordern, eine offene Gesellschaft zu fordern. Ich habe das Recht, Freunde mit jedweder Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung oder Herkunft zu haben. Ich habe das Recht, mit diesen Menschen zu arbeiten, zu kommunizieren, zu feiern und vieles mehr. Ich habe das Recht, anderen Menschen zu sagen, dass ich sie oder ihre Äußerungen Scheiße finde. Ich habe das Recht, jemanden, der andere Menschen rassistisch beleidigt meines Hauses/meiner Wohnung zu verweisen. Ich habe das Recht, auf die Straße zu gehen, und für die Interessen von mir oder anderen Menschen zu demonstrieren; dort laut zu sein, und dort Andere zu stören.

"Aus großer Macht folgt große Verantwortung"

Zurück zur Demokratie. Alle Macht geht vom Volke aus. Diese Macht gibt uns - uns heißt in diesem Fall jedem Einzelnen - die Verantwortung, für einen menschenwürdigen Umgang mit jedem in dieser Gesellschaft zu sorgen. Das beinhaltet die Versorgung von Bedürftigen. Das beinhaltet auch verhältnismäßigen Umgang mit Verstößen gegen diese gesellschaftliche Ordnung. Meine Verantwortung liegt auch darin, dass ich Menschen in meiner Umgebung schütze, indem ich für sie einstehe; indem ich mich selbstbewusst äußere, wenn sie durch Idioten angegriffen werden. Dies betrifft eben diese Grenzbereiche, die noch nicht in eine Strafbarkeit ausufern. Die Verantwortung für andere Menschen liegt aber auch darin, sich nicht in Sicherheitssystemen einzumummeln, sondern mit wachem Verstand zu überdenken, und zu fordern, was zu einer offenen Gesellschaft führt. Ohne einen Albtraum für Freiheit, Kreativität und Individualität zu erschaffen.

 

Weiterführende Links:

http://www.vice.com/de/read/ich-bin-gegen-blockwarte-im-internet-udo-vetter-432

http://m.tagesspiegel.de/politik/facebook-die-moral-der-anderen/12307258.html?

 

 

Die repräsentative Demokratie frisst ihre Kinder - ein Artikel auf Heise.de.

Wie so Viele um mich herum frage ich mich, ob die gefühlte Abwärtsspirale überhaupt noch aufzuhalten ist. Ich höre Worte wie Postdemokratie, und mache mir Sorgen über den resignierten Tonfall, den ich dort zu hören bekomme.

Ich höre, wie besorgt 'Bürger' über geplante 'Asylantenheime' (hey es heißt Asylbewerberheime) sind, mit der Begründung, ein solches Heim würde den Stadtteil weiter abwerten. Allein diese Begründung gruselt mich. Hier wird also über den Wert von Menschen diskutiert, mit einer bereits fest definierten Wertung, die ich so gar nicht akzeptieren kann.

Menschen werden nicht mehr als Menschen akzeptiert, und diejenigen, die mit verspannter Körperhaltung eine Lösung von den Piraten erwarten, suchen einen Kanal, um ihre Aggression, ihre Wut herauszulassen.

Und ja, ich kenne die eigenen Existenzängste. Das beklemmende Gefühl, dass der eigene Job nicht mehr so sicher ist. Die Irritation und Machtlosigkeit, die die aktuelle Politik in mir hervor ruft. Aber ich nehme mich auch davor in Acht, vorschnell einen Schuldigen dafür zu suchen. Im Mittelalter waren es Hexen und Juden, heute ist es "der Ausländer".

Ich will das nicht. Ich möchte mich weiter mit Menschen treffen, mich austauschen, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Sprache oder ihrem sozialen Hintergrund. Egal, ob sie Männlein oder Weiblein sind. Und ich möchte, dass die Politik hier die Interessen Aller vertritt. Eben damit ich auf meiner Ebene nicht allein alle Lösungen und Kompromisse finden muss. Damit ich einfach Leben kann.

Deshalb ist es so wichtig, nicht nach unten zu treten, und diejenigen abzustrafen, die für die politischen Fehlwege am Wenigsten können, sondern jederzeit mit einem Schritt Abstand zu überlegen, was es eigentlich ist, was die Rahmenbedingungen definiert. Dann haben wir auch vielleicht wieder eine Chance, diese Welt mit zu gestalten.