Monthly Archives: August 2015

Irgendwas läuft in diesem Staat falsch. Das höre ich immer wieder. Das höre ich auch von Bewohnern anderer Länder. Aber was ist denn nun genau das Problem der Politik?

Was am häufigsten bemängelt wird: Politikverdrossenheit

Aber ist das ein verursachendes Problem, das sich auf die Inhalte auswirkt, oder ist das eher umgekehrt. Diese Diskussion wirkt, wie die Henne/Ei-Diskussion. Politik findet derzeit in immer größerer Entfernung vom Wählerauftrag statt. Die moderne Politik hat noch keine Tools geschaffen, um sich mit in der Regierungsperiode plötzlich auftretenden Sachverhalten mit der Bevölkerung abzustimmen.

Oft gibt es zwar in den Parteien eine allgemein abgestimmte Richtung, die aber entweder aus taktischen Gründen immer wieder komplett ignoriert wird, oder die die tatsächlichen Sachverhalte nicht in wichtigen Details abdeckt. Oder die Rahmenbedingungen ändern sich; dann fühlen sich Parteien auf die einmal eingestimmte Richtung festgelegt. Was nicht immer im Sinne der Bevölkerung ist.

Was ich immer wieder beobachte: Komplexität

Viele Themen sind nicht mit einfachen, vordergründigen Lösungen zu bedienen. Erinnert euch damals an Ursula von der Leyens Stoppschilder für Seiten auf denen dokumentierter Kindesmissbrauch angeboten wurde (den Begriff Kinderpornos mag ich nicht, da Pornos legal sind). Diese "Stoppschilder" wären kinderleicht zu umgehen gewesen, und entsprechende Täter/Anbieter hätten ihr Tun um so besser verschleiern können. Im Endeffekt hätte das die Verfolgung durch Behörden noch eingeschränkt.  Also bleibt hier die aufwändigere Lösung, sich mit diversen Staaten abzustimmen (ja, das Internet ist international oder kaputt). Außerdem ändern sich auch technische Voraussetzungen häufig durch Innovationen schneller, als die Gesetzgebung hinterher kommt.

Auch wissenschaftliche Erkenntnisse können sich ändern. Stetiges Dazulernen ist auch ein Prozess, der sich nur langsam in unseren Gesetzen, Bestimmungen und Moralvorstellungen durchsetzt.

Bei komplexen Themen gibt es kein Schwarz/Weiß. Ich zitiere ja hier gern "For every problem, there is one solution, which is simple, neat and wrong." Manchmal ist es einfach nur die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Lösung.

Manches Vorgehen bringt wieder neue Nachteile mit sich, so dass die Politik zwischen Teufel und Belzebub wählen kann. Für manche Themen müssen wir IMMER Geld ausgeben; hier ist es nur interessant, was am Nachhaltigsten für alle ist (brauchen wir das noch, oder kann das weg?).

Politik entscheidet sich häufig, obwohl befragte Experten etwas anderes empfehlen, für die vordergründige "Lösung", weil Politiker befürchten, den Wähler mit den Fakten zu überfordern. Das geschieht dann klar zum Nachteil des Wählers. Oft ist es aber auch so, dass Politiker schlicht mit dem Hintergrundwissen überfordert sind, denn ein Fachmann auf jedem Gebiet zu sein, ist schlichtweg unmöglich.

Blame it on the Wähler: Bildung

Aber die Menschen auf der Straße verstehen das nicht. Hier wird das Bildungssystem als erster Beschuldigter aufgeführt. Aber wann ist Mensch gebildet genug, ein Thema zu bewerten? Woher kommen die Informationen. Eltern? Müssen auch erstmal alles gelernt haben. Schule? Muss in wenigen Jahren eine unglaubliche Menge an Wissen in die Schüler hinein bekommen. Ein Großteil davon ist das, was die heutigen Anforderungen an einen Arbeitsplatz ausmachen. Das hilft jetzt nicht unbedingt, allgemeinpolitische Themen zu bewerten.

Die werte Presse ist eine weitere Quelle für Informationen. Qualitätsjournalismus erfordert aber auch Investitionen. In das Medium, in die Journalisten, die diese Informationen zusammentragen. Und in Zeit und Geld durch den Konsumenten.

Wer, mit Familie und Vollzeitjob hat denn die Zeit, sich qualifiziert durch alle Themen hindurch zu wühlen?

Was ist, wenn die Presse ein Thema eine Zeit lang stiefmütterlich behandelt, und das Thema plötzlich ganz akut wird. Wie zum Beispiel der Umgang mit Geflohenen, die derzeit in Massen im Mittelmeer ertrinken oder auf der Flucht anderes Elend erleben. Das Verständnis für die Schicksale erschließt sich uns Mitteleuropäern doch erst, wenn wir mal Einzelbeispiele gesehen(gelesen) haben; wenn die Menschen für uns ein Gesicht bekommen.  Solange nur von Massen, von Flutwellen an Menschen gesprochen wird, wächst beim flüchtigen Lesen nur ein beunruhigtes Bauchgefühl, ohne Bewertungsmöglichkeit für die eigene Moral. Das ist dann genau das, wo die "besorgten Bürger" stecken geblieben sind, die hysterisch ein Zurück in das zerbombte Heimatland fordern. Einseitige Berichterstattung ist Eines, aber Vielfalt braucht Platz, Geld und Energie. Für alle.

Die Lösung

Ätsch. Hab ich jetzt auch nicht. Außer der Erkenntnis, dass gute Lösungen anstrengend sind. Offenheit und viel Beschäftigung mit der Materie brauchen. Es gibt Lösungsansätze; es gibt Ideen, die so nicht praktikabel waren.

Aufgeben?

Nein, und nochmals nein. Mal als Beispiel: im Mercedes-Museum waren diverse Ideen an sehr alten Autos abgebildet. Cabrioverdecke, Ideen für den Motor, die damals mangels anderer Erfindungen nicht umgesetzt werden konnten. Die moderne Technik haben wir heute nur, weil diese Ideen nicht in Schubladen verrotteten, sondern immer wieder neu zusammengesetzt wurden, bis etwas funktionierte. Weil Menschen immer wieder die Weitsicht hatten, das Ziel im Auge zu behalten, und andere Lösungen zuließen, oder auch mal von Sackgassen abließen und einen anderen Weg probierten.

Ich hoffe, dass wir ein Klima schaffen können, in dem wir weiter die Treppen für anderer Leute Luftschlösser bauen können.

 

So nach über 20 Jahren darf ich das glaube ich mal erzählen.

Als ich damals meine Banklehre fertig hatte, arbeitete ich ein Jahr lang als "Springer". Ich arbeitete in den Zweigstellen, in denen gerade Not am Mann war. Mal an einem Platz, um einen kranken Kollegen zu ersetzen, mal mit ein paar Springern, um eine Zweigstelle nach einem Überfall wieder zu eröffnen.

Unterschätzt das nicht. Wenn euch mal eine Waffe von einem Typen unter die Nase gehalten wurde, der vor Nervosität fast durchdreht, und offenbar noch nie in seinem Leben eine Schusswaffe bedient hat, sind die eigenen Nerven erst mal einige Tage lang Müsli.

Und vergesst die Bilder von dem professionellen Bankraub, der von ruhigen, besonnenen Tätern durchgeführt wird, die das Geld erbeuten und dann nach spektakulärer Flucht entkommen.

So läuft das nicht.

Bankraub hat die höchste Aufklärungsquote bei den Verbrechen. Damals waren das über 70 % direkt nach der Tat und über 90 % mehrere Jahre nach der Tat.

Die erbeuteten Summen reichen oft nicht lang. Die Aufmerksamkeit und die Alarmsysteme werden immer weiter ausgereift.

Meist sind das also Menschen, denen spontan nichts anderes mehr einfällt, um an Geld zu kommen; die keine Vorstellungen davon haben, was reich ist, und die sich für diese Aktion erstmal eine Waffe anschaffen. Und die im Grunde genommen von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.

Dann kommt also ein Typ in die Filiale, der schlecht geschlafen hat und mit jeder anderen Reaktion als der, die er in Gedanken durchgespielt hat, überfordert ist. Außerdem überfordern die menschlichen Reaktionen. Plötzlich stehen da Angestellte gegenüber, die echte Angst haben. Und Menschen mit Angst verhalten sich unberechenbar.

So ein Überfall hat also in der Filiale, in die ich als Springer gerufen wurde, gerade stattgefunden.

Ich wurde am Schalter eingesetzt, die Kollegin in der Kasse wollte unbedingt weiter arbeiten. Sie stand kurz vor der Pension und meinte, das zu schaffen, obwohl ihr die Waffe bei dem Überfall vorgehalten wurde.

Später am Nachmittag (herbstliches Schietwetter) - es war relativ leer -  kam ein Kunde schnellen Schrittes direkt auf die Kasse zu. Den Kragen der Jacke hoch ins Gesicht geschlagen und die Kappe tief in die Stirn gezogen.

Ich sah mich, da neu in der Filiale, nervös nach meinem Kollegen um, der aber schon signalisierte, alarmbereit zu sein. Wenig später kam auch OK, den kenne ich. Alles klar. Wieder Kopf runter zu meinen zu sortierenden Belegen.

Und dann gellte es durch den Raum "WENN … SIE … DAS … NOCHMAL…"

Kennt ihr noch diese wirklich alten Bankkassen. Mit dem Panzerglas und dem kleinen Loch darin zum Sprechen und unten dem Schlitz, das Geld hindurch zu reichen?

So eine war das noch.

Und der Kunde hing jetzt - den überwiegenden Teil des Kragens von der Kassiererin durch das Sprachloch gezogen - mit dem Gesicht an eben dieser Scheibe.

Oups. Während ich mit meinem Kollegen auf den Kunden zu rannten, ging die zweite Kassiererin, die grad aus der Pause zurück gekommen war, von hinten in die Kasse, um sich um die Kollegin zu kümmern. Und wir zogen die beiden erstmal auseinander. Unsere Kassiererin weinte hemmungslos. Der Kunde stammelte "Aber das war ein Scherz. Das war doch nur ein Scherz."

Ich bugsierte ihn mit dem Kollegen auf einen Stuhl im Nebenzimmer "Ehm. Was auch immer Sie da gesagt haben, wir wurden heute morgen überfallen". "Ach du je". Ich holte dem Kunden erstmal einen Beruhigungskaffee, und mein Kollege kümmerte sich weiter um den Herrn. Da hatte er mit seinem hochgeklappten Kragen einfach seine Unterlagen hingelegt, da er die Kassiererin gut kannte, und meinte, dass sie ihn schon wahrgenommen hätte, murmelte er "das ist ein Überfall". Ach so. Das ist, wenn man abgelenkt war, und das Gesicht nicht sofort erkennen konnte, natürlich mal gekonnt der so richtig falsche Text.

Aber das macht er wohl nie wieder.

 

 

 

"It is lonely in the saddle since the horse has died."Überholtes aus vergangenen Zeiten.

Dass ein Mann einer Frau die Tür aufhält, kommt aus einer Zeit, in der Frauen bodenlange Röcke mit vielen wollenen Unterröcken trugen, und Türen noch ernst gemeinte Türschwellen hatten.

Die Frau musste also damals mit einer Hand die Röcke raffen, um nicht zu stolpern. Heute, mit weitgehend angeglichener Mode, macht so eine starre Höflichkeitsregel keinen Sinn mehr.

Hier reicht also schlichte Aufmerksamkeit, dem Menschen hinter mir nicht die Tür vor der Nase zuzuschlagen, oder die Tür für die zu öffnen, die grad die Hände voll haben.